Unter dem Motto „die Initiativgruppe macht sich schlau“ reiste eine Abordnung der Rummelsberger Selbsthilfegruppe am 29./30. März 2019 nach Kassel.
Alle zwei Jahre trifft sich hier die Branche zur EXPOLIFE, der internationalen Fachmesse für Sanitäts-, Reha-, Orthopädie-Technik und Orthopädie-Schuhtechnikfachhändlern mit dem Anspruch, alles Sehens- und Erlebenswerte zu präsentieren, was diese Branche zu bieten hat.
Mehr als 230 namhafte Aussteller zeigten, verteilt auf 5 teilweise Doppel-Hallen und gegliedert nach Themenschwerpunkten, neue Produkte und Leistungen aus den Bereichen der Orthesen und Hilfsmittel wie Rollatoren und Rollstühle. Natürlich waren auch die Prothetik bzw. prothetische Hilfsmittel für Arm- und/oder Beinamputierte Menschen vertreten, also vor allem Liner, Cover, Prothesenfüße und Kniegelenke, Schäfte uvm. Mit diesen Produkten und Leistungen sollte gezielt der Gesundheits- bzw. Orthopädie-Fachhandel angesprochen werden.
Als dessen Endkunden ist dies alles natürlich auch für Betroffene relevant. Für uns als aktive Amputierten-Selbsthilfegruppe sind es verstärkt die praxisrelevanten Produkte und Portfolios der Prothetik. Schließlich wollen wir mit unserem Orthopädietechniker/-meister auf Augenhöhe kommunizieren. Und hier wiederum besonders die Neuerungen bzw. neue Denkansätze diskutieren.
Beispielhaft deshalb hier einige Ansätze die es lohnt, genauer zu betrachten bzw. auf Alltagstauglichkeit zu testen.
Otto Bock HealthCare Deutschland GmbH aus Duderstadt präsentierte sich mit dem Kniegelenk Kenevo – welches den Fokus auf mehr Sicherheit legt. Das multisensorielle Kniegelenk will als die weltweit erste Versorgungslösung modernster Technologie speziell für die Bedürfnisse weniger aktiver Menschen einen neuen Standard setzen. Klingt schon mal ganz gut!
Mit dem Genium X3 wurde das Genium weiterentwickelt für den „unverwüstlichen“ Prothesenträger – zum Gehen, Laufen, Schwimmen. Die Sensortechnologie der Genium Beinprothesen ermöglicht intuitive und natürliche Bewegungsabläufe, auch beim Rückwärts- oder Treppengehen sowie beim Wechsel zwischen verschiedenen Gehgeschwindigkeiten und Schrittlängen. Dies soll zu mehr Sicherheit und Lebensqualität sowie zur Entlastung der erhaltenen Seite führen. Hört sich auch gut an!
Körperlich anspruchsvolle Berufe, ein aktives Familienleben, schwimmen und sportliche Freizeitaktivitäten, Urlaub am Meer sowie Situationen, in denen Wasser, Staub, Sand, Erde oder Dreck eine Rolle spielen – das sind laut Otto Bock die idealen Bedingungen für das Genium X3. Wer fühlt sich hiervon nicht angesprochen?
Als weiteres Plus gilt die Cockpit App 2.0, mit deren Hilfe sich das Kniegelenk über iPhone oder Android Smartphone konfigurieren lässt.
Der Mitbewerber ENDOLITE DEUTSCHLAND setzt auf das Orion3-Kniegelenk, um mehr Sicherheit und Stabilität auf unterschiedlichen Untergründen, Schrägen und Treppen zu gewährleisten. Es sorgt für eine gleichmäßige Gewichtsverteilung zur Entlastung der erhaltenen Seite und des Rückens. Schmerzen und Beschwerden durch Überlastung oder Fehlbelastung werden dadurch reduziert. Würde ich mir wünschen!
ENDOLITES verbessertes LINX-System analysiert mittels integrierter Sensoren kontinuierlich Daten der Aktivität und des Terrains, um die Reaktion der Prothese nahtlos, basierend auf der Hydrauliktechnologie, anzupassen. Damit sollen besonders schnelle Anpassungszeiten gewährleistet werden. Die Praxis muss es zeigen!
Die biomimetische Hydrauliktechnologie von ENDOLITE ermöglicht es dem hydraulischen Knöchelgelenksfuß Avalaon K2, besonders natürliche und gleichmäßige Bewegungen abzubilden. Diese Technologie folgt dem Denkansatz, dass der menschliche Knöchel 4 Abrollpunkte besitzt, die erst das effiziente Gehen erlauben. Die Antwort darauf ist der hydraulischer Knöchelgelenksfuß, mit dem ENDOLITE die dynamischen und adaptiven Qualität natürlicher Bewegung der Gliedmaße nachbildet, um so einen langfristig gesunden Bewegungsablauf zu ermöglichen.
Für LINK und Orion 3 sind auch neue Kosmetik Cover verfügbar und Orion3-Anwender verfügen mit neuer App über moderne Möglichkeiten der Orion3-Programmierung.
Auch ENDOLITE geht also in Richtung gesunder Bewegungsablauf! Dieser Denkansatz ist m. E. schon bestechend. Ziel ist es, das höhere Arthrose-Risiko von Prothesenträgern in Knie und Hüfte und sich erwiesener maßen nach 2-3 Jahren Prothesengebrauchs einstellende Rückenschmerzen zu reduzieren oder zu vermeiden! Der menschliche Bewegungsapparat als Vorbild, kann ich gut nachvollziehen!
Össur Deutschland lanciert ein breites Spektrum an Pro-Flex und Re-Flex-Prothesenfüßen und mit dem Power Knee das einzige motorbetriebene Prothesenkniegelenk. Es zeichnet sich durch eine aktive Bewegung und eine hervorragende, motorbetriebene Standstabilität aus. Dadurch sollen, laut Hersteller, die Muskelfunktionen, die durch die Amputation verloren gegangen sind, ersetzt werden. Das Ergebnis: die Rehabilitationszeit nach der Oberschenkel-Amputation wird signifikant verkürzt. Die PowerLogic Software ermöglicht es Orthopädietechnikern, dem Anwender während des Trainings visuelles Feedback zu geben und sowohl die Leistungen des Anwenders als auch die Nutzung der Prothese zu dokumentieren. Ein interessanter Ansatz!
Innovation der Wilhelm Julius Teufel GmbH aus Wangen war das neue Unterdrucksystem für Unterschenkel-Prothesen ohne Schaft-übergreifende Kniekappe. Mit maximaler Beugefähigkeit ohne Einschnürung in der Kniekehle ist das OneSystem BK das perfekte Unterdrucksystem und die ideale Kombination für das Limb-Logic System (Ausstoßsystem). Auch interessant, tatsächliche Funktionalität und Anwendbarkeit werden sich in der Praxis jedoch erweisen müssen!
Weitere Teufel-Neuheit ist Prothify – das revolutionäre Prothesen-System zur adaptiven Verbindung des Prothesenschafts mit den Komponenten einer Beinprothese. Es erlaubt, vollständig modular, alle Aufbauanpassungen vorzunehmen. Besonders interessant für den Orthopädietechniker in Phasen der Interims- wie Definitivprothesen-Versorgung! Weiter gibt es jetzt vordere Abdeckkappen für die beliebtesten Modelle der KnieAgil-Gelenke.
Schließlich noch Freedem Innovations. Der außergewöhnliche Prothesenfuß Kinterra kombiniert die Eigenschaft eines Karbonfaserfußes mit einem hydraulischen Knöchelgelenk. Entwickelt wurde dies für Anwender der Mobilitätsklassen 2-3. Unabhängig von der Neigung, Schräge oder Beschaffenheit des Untergrundes oder der gewählten Geschwindigkeit soll so ein natürliches Gangbild erzeugt werden können, was wiederum die Sturzgefahr vermindern oder vermeiden würde. Sehr erstrebenswert!
Aufgefallen sind auch die neuen und vielfältigen Cover z. B. von AquaLeg oder dem kleineren spanischen Unternehmen UNIQ – m. E. absolut sehens- und beachtenswert.
Unter die Aussteller gemischt hatte sich auch der Rolf Brakemeier mit seiner LVampNRW, dem Landesverband für Menschen mit Arm- oder Beinamputation in NRW e. V mit Sitz in Lemgo. Ralf hat es geschafft, dass ihm die Messeleitung einen kleinen Messestand zur Verfügung stellte und hat dies genutzt, um bestehende Kontakte mit Passteileherstellern zu vertiefen und neue Kontakte aufzubauen. Wie ich finde eine tolle Eigeninitiative!
Ansonsten war von Selbsthilfegruppen für Amputierte wenig zu sehen. Neben Vertretern der SHG`s aus Kassel und Fulda gab es da nur noch die Rummelsberger, was natürlich auch der Messeausrichtung auf Fachbesucher geschuldet war.
Als Fazit unseres Messebesuches ist positiv anzumerken, dass die EXPOLIFE einen kompakten Auftritt aller relevanten Prothesen-Passteile (-Hersteller) bot, die Messe auf kurzen Wegen angenehm zu begehen war und ausreichend zentral gelegene Bistros für Rast und Imbiß vorhielt. Die Qualität der Neuerungen muss sich allerdings erst in der Anwendung erweisen.
Wir „Rummelsberger Initiativgruppler“ konnten wieder viel Interessantes aus den Vorträgen und Gesprächen für unsere Selbsthilfegruppe mitnehmen. Der hohe persönliche Aufwand für alle Teilnehmer durch die lange An- und Abreise sowie das frühe Aufstehen haben sich auch diesmal wieder gelohnt.
Vollendet wurde dieser gute Eindruck am Abend auf der Messe-Party! In der 1000 qm-Party-Zone in Halle 3 weckten regionale Spezialitäten, erfrischende Biere aber auch süffige Rot- und Roséweine die Lebensgeister. Mit MEAT`N`BEAT heizte eine hiessige Band namens WANDA Ausstellern wie Messebesuchern noch weiter ein, so dass das ein oder andere Hinkebein sogar das Tanzbein schwang! Und so etwas fördert natürlich den persönlichen Austausch, die Inklusion und damit im weitesten Sinne auch die Resilienz. Wir fühlten uns anschließend alle richtig „expo“ – nämlich life! – EXPOLIFE!